Studie: Mit Legasthenie Chinesisch lernen? – Kommentar

Im März 2023 hat die Universität Tübingen eine Studie veröffentlicht. Es ging um die Frage: Können Kinder mit einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS) Sprachen, die bildhafte Schriftzeichen nutzen, einfacher erlernen als Sprachen mit Buchstabenschrift?

Studienergebnisse

Die Studie wurde mit 40 Kindern im Alter zwischen 9 und 11 Jahren durchgeführt. 18 Kinder mit und 22 Kinder ohne LRS nahmen an einem einwöchigen Intensivkurs Chinesisch mit 3 Stunden pro Tag teil.

Beim Benennen chinesischer Zeichen auf Deutsch und Chinesisch zeichnete das Studienteam um Prof. Trauzettel-Klosinski die Augenbewegungen der Kinder auf. „In einer alphabetischen Sprache sind Kinder mit LRS besonders beim Umwandeln von Buchstaben in Laute beeinträchtigt, aus denen sich dann der Wortinhalt ergibt. Das zeigt sich an den Augenbewegungen: Um ein Wort zu entziffern, machen betroffene Kinder mehr Augenbewegungen als Kinder ohne eine LRS“, so die Studienleiterin.

Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Kinder mit und ohne LRS die gleichen Strategien zum Erlernen der Bildsprachen anwendeten. Es gab kaum Unterschiede beim Benennen der Zeichen auf Deutsch. Beim Benennen der Zeichen auf Chinesisch schnitten Kinder mit LRS deutlich schlechter ab. Ob dies auf eine Beeinträchtigung der lautlichen Verarbeitung zurückzuführen ist, muss erst noch geklärt werden.

Aus Sicht des Studienteams ist das Angebot eines Chinesischunterrichts an Schulen gewinnbringend: „Kinder mit LRS können ganz neue Sprachlernerfahrungen machen und profitieren auch hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft.“

Persönlicher Kommentar

Es gibt keinen klaren Zusammenhang zwischen Kindern mit LRS und ihrem Erwerb von logographischen Schriften, wie sie beispielsweise im Chinesischen verwendet werden. LRS bezieht sich auf Schwierigkeiten im Umgang mit alphabetischen Schriftsystemen, während logographische Schriften auf einem ganz anderen Prinzip basieren: Hier werden Wörter oder Morpheme durch einzelne Zeichen repräsentiert, die oft semantische Bedeutungen tragen.

Kinder mit LRS könnten theoretisch sowohl bei alphabetischen als auch bei logographischen Schriften Schwierigkeiten haben, da die zugrunde liegenden kognitiven Verarbeitungsprozesse unterschiedlich sind. Logographische Schriften erfordern das Erkennen und Memorieren einer größeren Anzahl von Zeichen, während alphabetische Schriften auf Phonemen basieren und das Entschlüsseln von Lauten erfordern.

Es ist wichtig anzumerken, dass der Erwerb jeder Schriftsprache individuell ist und von Faktoren wie der Qualität der Bildung, dem Umfang der LRS und anderen persönlichen Faktoren beeinflusst wird. Manche Kinder könnten aufgrund ihrer Stärken in visueller Verarbeitung besser mit logographischen Schriften umgehen, während andere möglicherweise ähnliche Schwierigkeiten haben wie bei alphabetischen Schriften.

Insgesamt ist es schwierig, eine generelle Aussage darüber zu treffen, ob Kinder mit LRS weniger Schwierigkeiten beim Erlernen von logographischen Schriften haben. Die Anpassung an verschiedene Schriftsysteme kann von Kind zu Kind unterschiedlich sein.

Publikation

Kuester-Gruber S, Faisst T, Schick V, Righetti G, Braun C, Cordey-Henke A, Klosinski M, Sun C-C, Trauzettel-Klosinski S; (2023) Is learning a logographic script easier than reading an alphabetic script for German children with dyslexia? PLoS ONE 18(2): e0282200.

Link zur Studie: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0282200

Artikel der Universität Tübingen: Link

Hilfe! Hat mein Kind Legasthenie?

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